Der lang geplante Besuch meiner Eltern fiel ins Wasser — oder, besser gesagt: in den Schnee. Aus dem resultierte nämlich ein Verkehrschaos erster Güte. Nachdem sie sechseinhalb Stunden im Stau gestanden hatten, fuhren sie von der A7 ab und kehrten kurz hinter Bad Homburg um. Im März wollen sie es wieder probieren, dann vielleicht mit dem Zug, falls die Gewerkschaften nicht wieder zum Streik aufrufen. Glück im Unglück: Dank der plötzlich frei gewordenen Zeit konnte ich den neuen Zhgulyov-Roman fertig übersetzen und bei der Arbeit spontan einen Dienst tauschen.
Am Donnerstag war ich in einem meiner Lieblingsrestaurants, dem Avobowl in der Rue du Fossé-des-Tanneurs, und ließ mir den Avocado-Salat schmecken. Ich guckte mir einen alten Disney-Film an, hörte Lisa Eckhart vorm Einschlafen und fühlte mich wie der glücklichste Mensch auf Erden, weil ich in dieser wunderbaren Stadt einschlafen und aufwachen darf. Die kommenden Tage habe ich frei; im MAMCS ist noch bis Anfang Februar die Exposition »Aux Temps du SIDA« zu sehen. Im Kino war ich 2024 auch noch nicht. Vor allem aber will und muss ich mich »A Perfect Stranger« widmen. (Das übliche Problem: Geld!) Ab Februar warten auch noch zwei neue Übersetzungsaufträge mit Deadlines im Mai und Juli auf mich. Meine Tage müssten eigentlich 48 Stunden haben.
Viel Neues gibt es eigentlich nicht. Wir haben einen klaren, eisigen Himmel hier im Elsass. Die Stadt ist beinahe leergefegt. Nach den Touristenfluten im Dezember eine wahre Wohltat, mit dem Rad unbekümmert durch die Stadt zu fahren oder Spaziergänge am Nachmittag zu machen. Zwei Jahre nach seinem Tod fehlt Chelito mehr denn je…
Ians Film, Ende 2015 begonnen, wird wohl nicht mehr fertig. Die Festplatten mit dem Material sind bei irgendeinem Cutter in Berlin versumpft, und er ist zu träge, um sie sich zurückzuholen. Wir haben 2018 und 2019 gedreht, in das Projekt sind an die 70.000 Euro geflossen. Ian hat zurzeit andere Sorgen: Die Peru-Reise, die morgen losgeht, und die Scheidung, die er nach weniger als fünf Monaten Ehe in die Wege geleitet hat. Es hat mich lange betrübt, dass dieser begabte, kluge Mann nicht vorankam in seiner künstlerischen Entwicklung. Mit Sur les traces de ma mère hatte ich ihm damals helfen wollen. Auch in seinem Folgeprojekt unterstützte ich ihn, so gut ich konnte. Ich verschaffte ihm eine Rolle in »Glück« (Regie: Henrika Kull), aus dem er herausgeschnitten wurde. Er war tödlich beleidigt, an »A Perfect Stranger« nicht beteiligt zu sein, aber in Anbetracht all dieser Erfahrungen kann ich es mir einfach nicht leisten. Es ist ein zu wichtiges Projekt für mich, das erste seit Ende 2017.
Für »A Perfect Stranger« habe ich von Minute Taker einige Songs zur Verfügung gestellt bekommen. Seine Stimme wird so quasi zur inneren Stimme von Albert, einer der beiden Hauptfiguren. Ich bin glücklich über diese Zusage, weil Bens Musik mich schon seit Jahren begleitet und inspiriert. Sein Album »Wolf Hours« habe ich mitfinanziert — eine herrliche Erfahrung, auf die ich stolz bin, denn diese Songs haben Tiefe und Herz. Ich freue mich schon auf sein nächstes Werk.
Kommt gut und glücklich durch diesen Sonn(en)tag, genießt den Winter mit all seiner klirrenden Pracht. Seid umarmt von
André